Ausgleichsanspruch trotz Verstoßes gegen Bargeld-Richtlinie (OLG)
Die Herabsetzung des Limits für den Barbestand der Kassa war für eine Pächterin nicht praktikabel. Die Mineralölgesellschaft kündigte den Tankstellenvertrag aus diesem Grund und verweigerte die Zahlung des Ausgleichsanspruches. Susanne Kuen konnte jedoch den Ausgleichsanspruch erfolgreich durchsetzen (OLG Linz 2012)
Eine Mineralölgesellschaft verpflichtet ihre Vertragspartner bei Vertragsabschluss Richtlinien einzuhalten, welche die Mineralölgesellschaft einseitig ändern kann. Eine solche Richtlinie gab es auch für den Umgang mit Bargeld. Nach einigen Jahren reduzierte die Mineralölgesellschaft das Limit für den maximal zulässigen Bestand an Bargeld in der Kassa erheblich.
Die Mandantin hatte zunächst versucht, auf das neue Limit umzustellen, doch war das neue Limit an ihrer Tankstelle völlig unpraktikabel. Die Mandantin widersetzte sich aber nicht einfach dem neuen Limit, sondern versuchte wiederholt den Mitarbeitern der Mineralölgesellschaft die Besonderheit ihrer Situation zu erklären: erstens war die Tankstelle für erheblich weniger Treibstoffumsatz geplant worden, sodass die Mandantin mit einer Kassa Zahlungsvorgänge abwickeln musste, für die an anderen Tankstellen zwei Kassen zur Verfügung standen; zweitens war der Tresor außergewöhnlich weit weg vom Kassenraum, sodass die Tankstelle bei Einfachbesetzung hätte geschlossen werden müssen, um Münzgeld aufzufüllen.
Als die Mandantin dem Gebietsleiter mitteilte, dass sie nicht mit dem neuen Limit arbeiten könne, kündigte die Mineralölgesellschaft den Tankstellenvertrag unter Einhaltung der Kündigungsfrist. Auf das Forderungsschreiben reagierte die Mineralölgesellschaft mit einer klaren Ablehnung: sie habe aus einem wichtigen Grund gekündigt, welchen die Mandantin verschuldet habe; immerhin habe sie grundlos gegen eine wichtige Konzernrichtlinie zur Vermeidung von Raubüberfällen verstoßen, wodurch sie auch das Leben und die Sicherheit anderer Pächter und Mitarbeiter gefährdet habe.
Bei einer Kündigung des Handelsvertretervertrages seitens des Unternehmers, steht der Ausgleichsanspruch in der Regel zu. Kündigt ein Unternehmer jedoch aus einem wichtigen Grund, welchen der Handelsvertreter schuldhaft gesetzt hat, steht dem Handelsvertreter gemäß § 24 Handelsvertretergesetz ein Ausgleichsanspruch nicht zu.
Ein Tankstellenpächter verliert also dann seinen Ausgleichsanspruch, wenn er rechtswidrig handelt, ihm das rechtmäßige Verhalten zumutbar war (ansonsten mangelt es an Verschulden) und der Mineralölgesellschaft die Fortsetzung des Vertrages bis zum nächsten Kündigungstermin nicht zumutbar ist („wichtiger Grund“).
Die Gerichtsverhandlung fand nicht nur im Gerichtssaal sondern auch an der Tankstelle statt. Der Richtersenat ließ sich die Handlungsabläufe genau erklären und inspizierte auch den Weg bis zum Tresor. Auch konkrete Zahlungsvorgänge wurden beobachtet, wobei offensichtlich wurde, dass Kunden nur selten Kleingeld zur Zahlung verwendeten.
Der Richtersenat gab der Klage auf Ausgleichsanspruch mit folgender Begründung statt: „Das Verhalten der klagenden Partei reicht daher zusammenfassend nicht aus, um einen wichtigen Grund im Sinnes des § 22 HVertrG darzustellen und damit derart weit reichende Rechtsfolgen eintreten zu lassen.“ Die Mineralölgesellschaft erhob gegen dieses Urteil Berufung – jedoch erfolglose: das Urteil wurde durch das Oberlandesgericht bestätigt und ist mittlerweile rechtskräftig.
Susanne Kuen
Aktualisierte Version 03/2015
Erstveröffentlichung 03/2012